GIESSEN (fw). Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) fordert eine Aufarbeitung der Geschehnisse rund um das Eritrea-Festival, das am Samstag von massiven Ausschreitungen von Veranstaltungsgegnern begleitet wurde. Das Verbot der Stadt wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof gekippt. „Die massiven Angriffe gegen die Polizei sind durch nichts zu entschuldigen und durch nichts zu rechtfertigen. Ich danke allen Sicherheitskräften für ihren Einsatz und wünsche insbesondere den verletzten Beamtinnen und Beamten eine rasche Genesung.“
Die Auseinandersetzungen um das Festival habe aber, so Becher, leider noch weit mehr verletzt als die betroffenen Polizisten. „Wir mussten beobachten, wie unsere Straßen zum Tatort wurden. Wir mussten erleben, dass Zigtausende unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt in ihrem alltäglichen Leben über mehr als einen ganzen Tag massiv eingeschränkt wurden, ihr Bewegungsraum eingeschränkt wurde, Kultur und Feste eingeschränkt wurden, Händler ihrem Verkaufsgewerbe nicht mehr nachgehen konnten. Man muss angesichts dessen tatsächlich die Frage stellen: Stehen diese Einschränkungen noch im richtigen Verhältnis zu dem Wunsch des Veranstalters, ein Fest zu feiern? Diese Frage gehört auf allen Ebenen – politisch wie juristisch – aufgearbeitet,“ erklärte der OB, der daran erinnerte, dass die Stadt Gießen versucht hatte, die umstrittene Veranstaltung zu verbieten, um genau dies zu verhindern. Entsprechende Verbote jedoch waren vor den Gerichten (zunächst vor dem Verwaltungsgericht Gießen, dann vor dem Verwaltungsgerichtshof letztinstanzlich) gescheitert.
„Es ist mehr als bedauerlich, dass Gießen erneut damit zum Schauplatz dieses Konflikts geworden ist, der nichts mit unserer Stadtgesellschaft, nichts mit dem Leben hier, mit uns zu tun hat und den wir auch nicht hier lösen können. Einer Stadt übrigens, die als Standort der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtende – wie kaum eine andere – für einen friedlichen Umgang mit unterschiedlichen Meinungen und auch unterschiedlichen kulturellen Hintergründen steht“, so der OB. „Die Geschehnisse dieses Wochenendes gefähren unseren Zusammenhalt gesamtgesellschaftlich“, erklärte Becher auch mit Blick auf Äußerungen in den Sozialen Medien, von denen nicht wenige zutiefst rassistisch seien. „Neben den tatsächlichen Ereignissen haben mich Äußerungen und Hetze in den Sozialen Medien, die offen rassistisch sind und die unseren Rechtsstaat verhöhnen, entsetzt. Das, was sich da bundesweit an Haß und Hetze entlädt, ist kaum zu ertragen.“ Auch deshalb brauche es jetzt eine Aufarbeitung, die über Gießen hinausgehe, so der Gießener OB. Es müsse immer darum gehen, Unbeteiligte zu schützen, aber auch darum, zu verhindern, dass die Demokratie und der Rechtsstaat Schaden nehmen – und das Vertrauen der Menschen in beides.
OB Frank-Tilo Becher: „Gewalt ist kein Mittel der Auseinandersetzung“
Mit Blick in die Zukunft erklärte Becher: „Ich hoffe, dass – sollte dies im nächsten Jahr wieder drohen – unsere Argumentation in einer Gesamtschau die Gerichte mehr überzeugen, als sie dies jetzt getan haben. Und ich hoffe, dass auch die Veranstalter wie Gegner merken, dass sie sich und ihrem Anliegen im Endeffekt keinen Gefallen tun, wenn sie es weiter auf einen Machtkampf auf unseren Straßen anlegen. Wir werden auf jeden Fall nicht müde, darauf hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass Gewalt kein Mittel der Auseinandersetzung ist. Gerade weil Meinungsfreiheit geschützt ist und bleiben muss: Es kommt nicht nur auf den Staat an, sondern auch auf jeden und jede Einzelne, der auch für die Folgen der Handlung oder der unterlassenen Handlung verantwortlich ist. Das gilt für gewaltbereite Störer wie Veranstalter. Und daran werden wir auch weiter deutlich erinnern.“ Insofern freue er sich, wenn das Auswärtige Amt der Bitte aus Wiesbaden nachkomme und ins Gespräch mit dem Botschafter Eritreas trete. „Und auch in Gießen werden wir mit allen Verantwortlichen nochmals in eine kritische Nachbetrachtung kommen.“
Bürgermeister und Ordnungsdezernent Alexander Wright dankte den Sicherheits- und Ordnungskräften für deren Einsatz. „Dank der guten Planung und gemeinsamen Arbeit vor diesem Wochenende waren alle auf alle Lagen und jedes Szenario vorbereitet. Auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass es anders gekommen wäre und leider auch Polizisten verletzt wurden: Wir haben damit auch bewiesen, dass dieser Staat sich auch durchaus wehrhaft gegen jegliche Anfeindung verhält, wenn es darauf ankommt. Und das werden wir gemeinsam auch weiter beweisen. Für die Zusammenarbeit mit diesem Ziel danke ich sehr.“