GIESSEN. Mehrere Beschwerden einer Anwohnerin aus der Nachbarschaft haben dazu geführt, dass der Ulenspiegel Giessen seine Wiese hinter dem Biergarten nicht mehr für Veranstaltungen nutzen darf. Das Nutzungsverbot brachte die Betreiber Britte und Tobias Bach sowie „Lächelmal“-Veranstalter Max Nammert dazu, am Mittwoch ein Video auf Instagram zu veröffentlichen. Darin fordern sie die Stadt Gießen auf, endlich das Gespräch zu suchen – und werfen ihr vor, kulturelle Initiativen zu wenig zu unterstützen. Der Clip, in dem auch Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher, Bürgermeister Alexander Wright und die Stadt direkt verlinkt sind, hat innerhalb kurzer Zeit eine breite Diskussion ausgelöst.
Appell auf Instagram mit großer Resonanz
„Wir müssen reden. Wir probieren mit allen gut klarzukommen, aber scheinbar reicht es nicht“, sagt Tobias Bach in dem Video. Gemeinsam mit Britte Bach und Max Nammert verweist er darin auf die Bedeutung der Afterwork-Reihe „Lächelmal“, die sich zu einem beliebten und inklusiven Treffpunkt für viele Zielgruppen insbesondere Studierende und Berufstätige entwickelt hat. „Die Nachbarn haben nichts unversucht gelassen, um unsere Veranstaltungen zu unterbinden. Wieso tritt niemand mit dem Ulenspiegel in den Dialog?“, heißt es in dem Appell. Und weiter: „Unser Oberbürgermeister hat zur Stärkung der Clubkultur aufgerufen. Aber wo ist denn der Support? Wir haben keinen Support, wir spüren nur Steine und Stöcke, die uns in den Weg gelegt werden.“
Das Video erreichte innerhalb von zwei Tagen über 60.000 Aufrufe und mehr als 130 Kommentare. Viele davon zeigen Unterstützung für die Betreiber. Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer betonen dort, wie wichtig Formate wie „Lächelmal“ für das Stadtleben seien. Damit brachte der Post eine Diskussion ins Rollen, die bereits seit Wochen zwischen Betreibern, Nachbarn und Stadt schwelt.
Lärmmessungen und Auflagen der Stadt
Ausgangspunkt des Konflikts sind wiederholte Lärmbeschwerden aus der Nachbarschaft. Im Sommer überprüfte das Bauordnungsamt die Lage vor Ort und führte Messungen durch. Laut Britte Bach lag die erlaubte Grenze bei 60 Dezibel und sei „nur sehr selten und auch nur minimal“ überschritten worden. Bei einer Kontrolle habe die Stadt 64 Dezibel gemessen – „das merkt man überhaupt nicht, da ist ein Auto teilweise lauter“, sagt sie. „Wir reden hier nicht von einer lauten Party, sondern von einzelnen Momenten, in denen die Musik ein wenig lauter war.“
Um die Werte selbst nachvollziehbar zu dokumentieren, hat Tobias Bach nach eigenen Angaben extra ein professionelles Messgerät angeschafft. „Wir wollten sicher sein, dass wir alles richtig machen. Haben die Messungen sogar gefilmt“, sagt er. Die Betreiber empfinden den Aufwand, der inzwischen rund um Genehmigungen, Auflagen und Protokolle entstanden ist, als „reinen Bürokratie-Wahnsinn“. Die Musik bei den Afterwork-Events laufe immer in moderater Lautstärke und werde pünktlich um 21:59 Uhr beendet.
Dennoch forderte die Stadt die Betreiber auf, künftig strikt unterhalb des genehmigten Werts zu bleiben. Zudem untersagte sie, Lautsprecher oder Beschallungstechnik auf der angrenzenden Wiese aufzustellen. Diese Fläche sei weder im Pachtvertrag noch im Genehmigungsverfahren als Veranstaltungsort vorgesehen. „Da die Nutzung dieser Wiese baurechtlich nicht zulässig ist, musste klargestellt werden, was erlaubt und was nicht erlaubt ist“, teilte die Stadt mit.
Verbot, Kosten und nächste Schritte
Eine Strafe wegen der Nutzung der Wiese mussten die Pächter bislang nicht zahlen. Mit dem aktuellen Verbotsbescheid wurden ihnen jedoch „Verfahrenskosten“ in Höhe von knapp 300 Euro auferlegt. Bei Zuwiderhandlung drohen mehrere Tausend Euro an Geldstrafen. Seit dem Schreiben dürfen dort keine Events mehr stattfinden – auch keine kleineren Formate wie Flohmärkte. „Im Grunde genommen darf man die Wiese nur noch anschauen“, sagt Britte Bach.

Nach dem Brief suchten die Betreiber das Gespräch mit dem Bauamt. Doch dort sei man nicht weitergekommen. „Wir hätten uns schon vorab ein gemeinsames Gespräch gewünscht, bevor so ein Brief einfach ohne Vorwarnung kommt“, so Bach. Nun wollen die Pächter die Angelegenheit auf die nächsthöhere Ebene bringen, um eine Lösung zu finden, die auch künftige Veranstaltungen wieder ermöglicht – und nutzen dabei auch die Aufmerksamkeit rund um das Video auf Social Media.
Ulenspiegel Giessen: Zwei Nachbarn beschweren sich über alles
Die Gastronomen berichten von zwei Nachbarparteien, die wiederholt Beschwerden eingereicht hätten. Das habe vor allem dazu geführt, dass die ganze Thematik erneut aufgerollt wurde. „Vor allem eine Nachbarin ruft ständig die Polizei – egal, wie leise es ist“, so Bach. „Selbst ein Singer-Songwriter mit Gitarre war ihr schon zu laut.“ Laut Betreibern habe die Polizei in den meisten Fällen nichts beanstandet und die Einsätze nach kurzer Zeit beendet. Ein Versuch, mit den Nachbarn persönlich ins Gespräch zu kommen, sei bislang gescheitert.
Bewegung in der Kommunalpolitik
Bereits während der Corona-Zeit hatte der Ulenspiegel gemeinsam mit der Stadt nach Lösungen gesucht, um kleinere Kulturveranstaltungen rechtlich abzusichern. 2022 wurde schließlich eine Sondernutzungserlaubnis für den Biergarten erteilt – unter klaren Auflagen und Lärmgrenzen. Für die angrenzende Wiese sei eine solche Genehmigung jedoch nie möglich gewesen.
Nach dem aktuellen Video-Appell kommt nun Bewegung in die Sache. Vertreter der Grünen haben angekündigt, das Thema mit Bürgermeister Alexander Wright zu besprechen. Auch die Partei und die Linke haben öffentlich ihre Unterstützung zugesichert. Auf Nachfrage bei der Nachtbürgermeisterin sei man bereits in den Dialog mit den beteiligten Parteien eingestiegen. „Uns geht es nicht darum, Gesetze zu umgehen“, sagt Bach. „Wir wollen eine Lösung, die für alle funktioniert.“
Zukunft ungewiss
Die Stadt selbst signalisiert Gesprächsbereitschaft. Man wolle „den konstruktiven Dialog mit dem Betreiber fortführen“ und zugleich sicherstellen, dass die Rechte der Anwohner gewahrt bleiben.
Für den Moment bleibt die Wiese hinter dem Ulenspiegel gesperrt – doch der öffentliche Druck auf eine Lösung wächst. Ob Stadt, Nachbarn und Betreiber bald an einen Tisch kommen, ist offen. Wenn im Rathaus der Wille da ist, dürfte sich für den „Ulen“ sicher ein Weg finden, damit die nächsten Sommerabende dort nicht endgültig verstummen.