GIESSEN (pm). Operationssäle sind kalt. In der Regel haben sie 19 Grad, damit Operateure nicht schwitzen. Häufig tun sie es dennoch – mit negativen Folgen für Konzentrationsfähigkeit und Arbeitssicherheit. Zugleich frieren Patienten und Anästhesisten. Eine Forschungskooperation um die THM-Professoren Dr. Thomas Steffens und Dr. Hans-Martin Seipp will dieses Dilemma durch gekühlte Kleidung lösen.
Neben der fachmedizinischen Arbeit ist es vor und während einer Operation die wichtigste Aufgabe des Personals, die Patienten nicht versehentlich zu infizieren. Sterilisation mit hochwirksamem Alkohol und das Anlegen von sterilen Handschuhen und Maske sind Standardprozeduren. Und doch können in seltenen Fällen Infektionserreger über Schweißtropfen in das Wundgebiet tropfen, etwa von der Stirn von Operateuren. Denn die Arbeitsbedingungen sind für diese selbst in mit steriler Zuluft heruntergekühlten Sälen oft schweißtreibend.
Hoher Belastung entgegenwirken
Während langwieriger, körperlich anstrengender Operationen unter wärmeabstrahlenden OP-Leuchten ist die Belastung hoch. Die dauerhaft zu tragende Last von Bleischürzen mit deren vollständiger Isolierwirkung gegenüber Feuchte bewirkt einen Wärmestau. „Man kann aus der arbeitsbedingten Wärmefreisetzung aus körperlicher Anstrengung einerseits und der Isolierwirkung der OP-Bekleidung andererseits relativ leicht berechnen, dass sich rund zehn Prozent der Operierenden thermisch unwohl fühlen“, erklärt Prof. Dr. Hans-Martin Seipp vom Fachbereich Life Science Engineering der THM. Mit Bleischürze verdopple sich der Anteil sogar. Die Konzentrationsfähigkeit leide mit zunehmender Operationsdauer, das Risiko von Schweißbildung steige.
„Gleichzeitig friert bei den gegebenen Temperaturen das übrige Personal, etwa aus der Anästhesie“, ergänzt sein Kollege Prof. Dr. Thomas Steffens. Rund ein Drittel leide regelmäßig unter der Kälte am Arbeitsplatz. Ganz zu schweigen von den Patienten: Wegen der permanent niedrigen Lufttemperatur werden sie mittels untergelegter Wärmematten oder warmer Infusionen aktiv aufgeheizt.
In der Fachliteratur wird dieses Dilemma seit mehr als 20 Jahren beschrieben, jetzt will es eine Forschungskooperation um Seipp und Steffens im Netzwerk „Innovative Techniken im OP“ (InnoTecOP) lösen. Sie beabsichtigen, Kühlkleidung zu entwickeln. Auf Basis eines neuen Patentes wird dabei warme Körperluft und -feuchte abgesaugt. Nachströmende Raumluft ermöglicht eine gezielte Kühlung nach individuellem Befinden. So soll es möglich werden, die Raumluft im OP auf etwa 21 Grad anzuheben und Patienten wie Anästhesiepersonal vor Unterkühlung zu schützen.
Testlauf am Klinikum in Bochum
Ein erfahrener Hersteller für Krankenhaus-Arbeitsschutzbekleidung und das sächsische Textilforschungsinstitut haben im Rahmen der Kooperation die Aufgabe, die Kühlkleidungselemente zu konfektionieren. Ein Ingenieurbüro entwickelt Regelung und Steuerungstechnik des individuell aus der Kühlkleidung abzusaugenden Luftvolumenstroms. Steffens und Seipp haben neben der Gesamtkoordination die Aufgabe, die textilen und technischen Komponenten, die Verteilung und Effizienz der Luftströmungen in der Kleidung sowie die im Projekt entwickelten Prototypen und Demonstratoren messtechnisch zu bewerten.
Die Anforderungen des Operationspersonals sowie die anschließende klinische Bewertung der grundsätzlichen Akzeptanz der Kühlkleidung und deren Wirksamkeit erfolgt am Klinikum der Ruhruniversität in Bochum. Ein Team aus Operateurinnen und Operateuren verschiedener Fachdisziplinen unter der Leitung von Dr. Jennifer Niescery-Herzog wird die Kleidung ausführlich testen.
Das im September 2023 begonnene Forschungsvorhaben hat einen Projektzeitraum von zwei Jahren. Gefördert wird es über InnoTecOp als Kooperationsnetzwerk im „Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ (ZIM) des Bundeswirtschaftsministeriums. In dem von der THM ab 2018 aufgebauten Netzwerk kooperieren insgesamt 16 Unternehmen und vier Forschungseinrichtungen. Dabei wurde das Organisationsmanagement seit April 2020 zunächst mit 160.000 Euro gefördert. Anschließend wurden bisher vier Forschungsprojekte mit einer Laufzeit von jeweils zwei Jahren und einem Gesamtvolumen von gut 4,1 Millionen Euro bewilligt, woran die THM mit einem Anteil von 880.000 Euro beteiligt ist.