GIESSEN (fw). Der zweite Tag des Eritrea-Festivals in Gießen steht an. Um mehr über die Hintergründe des Festivals und zur politischen Situation in Eritrea zu erfahren, haben wir mit einem Deutsch-Eritreer hier aus Gießen gesprochen, der sich bereits viele Jahre intensiv mit der Thematik beschäftigt.
Da er Familienangehörige nicht belasten möchte, wird sein Name im Verlauf nicht veröffentlicht.
Du bist selbst Deutsch-Eritreer, lebst hier in Gießen und sagst von dir selber, du siehst dich nicht aufseiten der Ein-Parteien Diktatur im Land. Seit Jahren wird das Festival hier in Gießen gefeiert, sie gilt als umstritten, denn die Gegner des Festivals werfen den Veranstaltern eine Propaganda-Veranstaltung für die eritreische Regierung vor. Du warst vor 15 Jahren schon selbst auf dem Festival. Damals herrschte jedoch noch ein anderes politisches Klima. Wie siehst du die Entwicklung von damals zu heute und kennst du jemanden der in den letzten Jahren vor Ort war und dir seine Eindrücke geschildert hat?
Viele wissen nicht, das Eritrea-Festival gibt es seit Anfang der 90er in Gießen nur in den letzten Jahren haben die meisten Menschen davon was gehört. In den Neunzigern fand es sogar einmal am Philosophikum 2 der Uni Gießen statt, wovon ich selbst erst letztens erfahren habe, bevor es dann regelmäßig an den Hessenhallen veranstaltet wurde.
Warum Gießen?
Gießen hat seit Jahrzehnten eine lange Tradition als Ort, an dem Menschen aus aller Welt Zuflucht gefunden haben. Seit den 80ern leben hier Menschen, die damals schon als Kinder vor dem Bürgerkrieg im damaligen Äthiopien nach Europa geflohen sind. Daher kamen bis vor einigen Jahren tausende Besucher und Besucherinnern eritreischer Abstammung aus ganz Europa hier nach Gießen, die sich viel weniger aus politischen Gründen auf diesem Festival getroffen haben, sondern, wie ich bis 2006, um Freunde und Bekannte zu treffen, die man ewig nicht gesehen hatte. Damals hatte man einfach Spaß daran zu tanzen, ein bisschen eritreische Kultur in Europa zu erleben, die traditionelle Küche zu genießen und alte bekannte Gesichter wiederzusehen.
Über die Jahre hat die eritreische Auslandsvertretung in Frankfurt das Festival organisiert. Mit der verschlechternden politischen, wie humanitären Lage in Eritrea haben sich dann aber immer mehr und mehr Menschen vom Festival distanziert, das gilt auch für mich. Gerade seit Mitte der 2000er sind, wie viele wissen, immer mehr Eritreer aus dem Land nach Deutschland geflüchtet, weil die Lage dort ein normales Leben kaum möglich macht. Grund dafür ist der unbefristete Militärdienst Eritreas: Mit dem Schulabschluss werden alle 18-Jährigen zum Teil des Militärs und verrichten arbeitslagerähnliche Arbeiten und werden in Konflikte wie zuletzt den Tigray-Krieg in das Nachbarland Äthiopien beordert. Wer sich dem widersetzt, wird für Jahre weggesperrt, gefoltert und durchläuft ein „Rehabilitierungsprogramm“. Viele dieser Menschen, die ihr am Wochenende demonstrieren sehen habt, sind genau aus diesen Gründen geflüchtet und leben seit Jahren in Europa, Deutschland und Gießen und erleben Jahr für Jahr diese Veranstaltung in der neuen Heimat. Für viele ist daher das einzige Ziel, diese Veranstaltung zu kippen.
Mittlerweile wird es über Funktionäre aus dem Kreis der eritreischen Auslandsvertretung in Frankfurt organisiert, jedoch ist es nun viel politischer geworden. Natürlich gibt es immer noch das traditionelle Essen, mit Spaß und Musik, jedoch spielt der Teil nur noch eine geringe Rolle – Gäste und Vertreter des eritreischen Regimes werden eingeladen, um Reden zu halten und bekannte Künstler und Künstlerinnen, die teilweise beordert werden, dort aufzutreten (für viele gilt weiterhin der unbefristete Militärdienst), denn Gelder, die auf diesem Festival eingenommen werden, finanzieren am Ende auch das eritreischen Regime. Das erscheint absurd, ist aber absurde Realität. Nicht umsonst gilt für Menschen wie mich, eine 2% Steuer, die der eritreische Staat von jedem im Ausland lebenden verlangt (dafür muss man nicht einmal eritreischer Staatsbürger sein), um auch nur formale Kleinigkeiten zu erledigen z.B. ein einfaches Dokument anzufordern.
Sinn und Zweck heute sind rein politisch. Menschen, die diese Veranstaltung weiterhin besuchen stehen dem eritreischen Regime nahe und diese profitieren auch weiterhin von der anhaltend schlechten Lage im Land. Dadurch, dass die eritreische Gemeinschaft übersichtlich ist, sind diese Personen auch bekannt, was zwar im Alltag nicht so sehr stören mag, jedoch an Wochenenden wie diesen in Gießen zu Konflikten führt.
Wie erlebst du persönlich die Auswirkungen der Feier hier bei uns in Gießen? Hast du dich an diesem Wochenende den Festivalgegnern angeschlossen oder betrachtest du das ganze aus der Ferne?
Gerade in der Stadt, in der ich lebe, sowas zu erleben ist ein komisches Gefühl. Gerade auf Social Media lese ich die Tage Kommentare und sehe Videos vieler Anfeindungen gegen Eritreer oder Menschen, die einfach nur so aussehen. Obwohl ich mich hier super wohlfühle, ist das bedrückend. Dieses Wochenende habe ich versucht mich mit anderen Dingen zu beschäftigen, was jedoch im Zeitalter von Smartphones schwierig ist, besonderen wenn irgendwelche Videos und Sprachnotizen online kursieren und die ganze Stadt darauf spürbar in Panik verfällt. Am Ende denke ich, ist keinem damit geholfen, die Veranstaltung stattfinden zu lassen, weder der Stadt, den Demonstrierenden, den Veranstaltenden, Polizei & Co. und den in Gießen lebenden Menschen.
Welche Hoffnungen hast du für die Zukunft von Eritrea?
Ein freieres Eritrea, ein Eritrea das einfach nur für schöne Musik, leckeres Essen, unberührte Natur und nette Menschen und nicht für panikmachende Sprachnotizen bekannt ist.
Vielen Dank!