GIESSEN (fw). Ein Fall der nicht nur in Gießen, sondern derzeit auch überregional große Wellen schlägt: Eine Familie aus Gießen hat Geld für ihr angeblich krankes Kind in verschiedenen Online-Kampagnen gesammelt. Der Grund für die öffentlichen Spendenaufrufe war laut den Videobotschaften der Eltern eine schwere Erkrankung ihres Sohnes. Dieser sei vor rund zwei Jahren an Hautkrebs und im letzten Jahr an Leukämie erkrankt. Hinweisen zufolge soll sich das Kind mittlerweile nicht mehr in Obhut der Familie befinden.
Die Staatsanwaltschaft Gießen ermittelt nach eigenen Angaben nun wegen des Verdachts auf Spendenbetrug und sucht weitere Betrugsopfer. Dazu hat die Polizei Mittelhessen kürzlich eine eigene Mailadresse eingerichtet, über die sich Betroffene melden können. Siehe Informationen am Ende des Artikels. Der FAZ sagte Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger: „es geht es um mehrere hunderttausend Euro“. Mit Verweis auf den derzeitigen Stand der Ermittlungen spricht die Polizei aber von einem mittleren sechsstelligen Betrag. Viele offene Fragen ergeben sich in diesem Fall. Einige davon haben wir versucht zu klären und haben zur rechtlichen Einordnung mit dem Gießener Rechtsanwalt und Strafverteidiger Andreas Milch gesprochen.
Herr Milch, wie beurteilen Sie die rechtliche Einordnung von Handlungen wie dem Spendenbetrug im Hinblick auf den Straftatbestand des Betrugs, und können Sie ein Beispiel für eine solche strittige Handlung geben?
Es gibt viele Verhaltensweisen, die den Straftatbestand des Betruges nach § 263 StGB, erfüllen können. Einige davon sind höchst strittig, wie z. B. der sogenannte Spendenbetrug. Der klassische Spendenbetrug geht in etwa so: Sie nehmen eine Büchse, betteln irgendwelche Leute an und behaupten, das gesammelte Geld käme dem Tierschutzverein zugute. In Wirklichkeit wollen Sie das Geld aber für sich behalten, um damit Alkohol und Schokolade zu kaufen. Dies nur als plakatives Beispiel. Das ist Betrug, sagt die Rechtsprechung. Denn hätten Sie die Wahrheit gesagt, hätten die Menschen Ihnen nämlich kein Geld gegeben und so auch keinen wirtschaftlichen Nachteil erlitten. Klingt ganz einleuchtend, ist aber falsch: Denn den wirtschaftlichen Nachteil hätte das „Opfer“ auch dann gehabt, wenn das Geld tatsächlich dem Tierschutzverein zugutegekommen wäre.
Wenn der Spendensammelnde nicht die Wahrheit über den eigentlichen Zweck der Spenden sagt, liegt eine bewusste Täuschung vor und somit ein Betrug, da der Zweck, aufgrund dessen die Spende erfolgte, verfehlt wurde. Deshalb nennt sich diese Lehre auch Zweckverfehlungslehre. Es ist entscheidend zu prüfen, ob der Getäuschte bewusst und freiwillig seine Vermögenswerte preisgegeben hat oder ob eine unbewusste Selbstschädigung vorliegt. Nur im letzteren Fall kann von einem Betrug ausgegangen werden. Subsumiert auf den aktuellen Gießener Fall des Spendenbetrugs sehe ich es so, dass die Eltern nach den bisher öffentlich gewordenen Erkenntnissen, über die Erkrankung des Kindes getäuscht haben.
Zweck der Spende sollte es sein, die Familie bei der Kostenlast der Behandlung des erkrankten Kindes zu unterstützen. Würde es nun tatsächlich keine derartige Erkrankung des Kindes und damit auch keine Behandlungskosten geben, hätten die Eltern nicht die Wahrheit über den eigentlichen Zweck der Spenden gesagt, nämlich die eigene Bereicherung. Es würde dann nach meiner Auffassung – sollte sich der Vorwurf den bewahrheiten – ganz klar ein Fall der unbewussten Selbstschädigung und deshalb auch eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 StGB vorliegen.
Welche Strafe droht, wenn sich der Fall als bewiesen herausstellt und nach den Ermittlungen gerichtlich verurteilt werden würde?
Die Strafbarkeit des Betruges gemäß § 263 Strafgesetzbuch (StGB) sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Vorliegend könnte aber die Strafzumessung des § 263 Abs. 3 StGB einschlägig sein, wenn man davon ausgehen würde, dass die Tat gewerbsmäßig begangen worden ist. Dabei wird Gewerbsmäßigkeit bei planmäßigem Vorgehen mit der Absicht sich eine Einkommensquelle von gewisser Dauer und Nachhaltigkeit zu schaffen. Was vorliegend zu bejahen sein könnte und sich dann als besonders schwerer Fall des Betrugs straf schärfend auswirken würde. Das Gesetz sieht hier dann eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor.
Besteht eine strafbare Handlung, wenn ich als Unternehmen oder Privatperson für die Spendenaktion geworben habe?
Wer bei auf den sozialen Medien einen fremden Beitrag teilt, haftet wegen des bloßen Teilens nicht sofort für rechtswidrige Inhalte im Beitrag. Zumal vorliegend für Außenstehende nicht erkennbar war, dass die Behauptungen hier nicht stimmen würden, da die Videos sehr authentisch erstellt worden sind und demnach viele Personen, Institutionen und Unternehmen zu Spenden verleiteten.
Selbst Presse und Medienunternehmen haben den Beitrag geteilt, haben eine Story gemacht und sind auf die Familie letztendlich hereingefallen. Journalisten und Medienunternehmen sind zwar verpflichtet, sorgfältig und gewissenhaft zu recherchieren und Informationen auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, diese Pflicht findet aber Ihre Grenzen in den Persönlichkeitsrechten Dritter und es gibt kein Recht und keine Pflicht die Krankenakten des Kindes einzusehen. Wie die F.A.Z. in einem Artikel vom 25.03.24 berichtete, haben die Eltern auch Organisationen, die eine Einzelspende von 100.000,00 EUR geleistet haben, Belege und Rechnungen der Klinik in den USA und Fotos aus den Tagen der Therapie gezeigt, um entsprechendes Vertrauen zu wecken.
Weiterführende Informationen:
Mailadresse für Geschädigte: [email protected]