GIESSEN (jh). Die Stadt Gießen hat offiziell Widerspruch gegen die amtliche Einwohnerzahl eingelegt, die im Rahmen des Zensus 2022 erhoben wurde. Die Ergebnisse des Statistischen Landesamts Hessen wiesen eine Einwohnerzahl von 87.217 Personen aus. Diese Zahl liegt um mehr als 6.300 Personen unter den 93.547 Einwohnern, die das städtische Melderegister zum selben Zeitpunkt erfasste. Aktuell sind in Gießen 94.508 Personen gemeldet – ein Hinweis darauf, dass die Hochrechnung des Zensus weit von der Realität abweicht. Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher zeigte sich enttäuscht über die ungenaue Methodik des Zensus: „Es ist und bleibt auch nach allen Überprüfungen und Überlegungen völlig unverständlich, wieso unser Melderegister weniger genau sein soll als eine Hochrechnung. Das Zensus-Ergebnis können wir daher nicht akzeptieren. Deshalb haben wir Widerspruch eingelegt.“
Finanzielle Verluste in Millionenhöhe
Die Konsequenzen der niedrigeren Einwohnerzahl wiegen schwer. Erste Berechnungen der städtischen Kämmerei zeigen, dass Gießen ab dem Jahr 2026 mit jährlichen Einbußen von rund 9 Millionen Euro rechnen muss. Bis zur nächsten Volkszählung 2032 summiert sich das Defizit auf geschätzte 90 Millionen Euro. Ein Problem sieht die Stadt in der Methodik des Zensus. Besonders in einer Universitätsstadt wie Gießen sind Fluktuationen durch Zu- und Wegzüge sowie Umzüge innerhalb der Stadt eine Herausforderung, die das Zensus-Verfahren offenbar nicht ausreichend berücksichtigt. Becher erläutert: „Der Sommer in einer Unistadt ist stets eine Zeit des großen Wechsels. Für eine Befragung über so viele Monate ist das ein methodisches Problem, weil Studierende nach dem Semester wegziehen und die neuen noch nicht da sind“. Zusätzlich verschärft wird das Problem durch die Vorgehensweise des Zensus: Personen, die bei zwei Kontrollbesuchen nicht angetroffen und auf schriftliche Anfragen nicht reagierten, wurden als „nicht existent“ eingestuft. Gerade in Gießen, wo viele Studierende zeitweise abwesend sind, führe das zu erheblichen Fehlern.
Zusammenarbeit mit anderen betroffenen Städten
Gießen steht in engem Austausch mit anderen betroffenen Städten wie Marburg, Fulda und Hanau. Alle haben mit ähnlichen Abweichungen zu kämpfen. Gemeinsam wollen sie die abweichenden Hochrechnungen hinterfragen und Lösungen erarbeiten. „Wirwerden uns über die Ergebnisse unserer Recherchen und unsere Erkenntnisse austauschen und gemeinsame Wege suchen, dagegen vorzugehen“, kündigte Becher an.
Bessere Verfahren ab 2032
Langfristig hofft die Stadt Gießen auf Änderungen in der Methodik. Ab der nächsten Volkszählung im Jahr 2032 sollen die Daten ausschließlich durch Registerabfragen erhoben werden, was auch das Melderegister einbezieht. Spätestens dann wird eine realistischere Einwohnerzahl vorliegen. Die Stadt setzt darauf, die Ungenauigkeiten des aktuellen Verfahrens aufzuzeigen und das Zensus-Ergebnis zu korrigieren