GIESSEN (fw). Die Bahnhofsmission Gießen wird am kommenden Samstag das letzte Mal geöffnet sein. Diese Entscheidung könnte weitreichende Folgen für die soziale Versorgung in der Stadt haben und stößt bei vielen Menschen auf Unverständnis. Doch welche Gründe führen zu dieser Schließung, und was bedeutet sie für die Betroffenen? Lucas Maienschein, der Initiator einer Petition gegen die Schließung, erklärt die Hintergründe und die drohenden Konsequenzen.
Die Bedeutung der Bahnhofsmission Gießen
Die Bahnhofsmission Gießen ist ein niedrigschwelliges Hilfsangebot, das seit Jahren Menschen in prekären Lebenslagen unterstützt. Sie bietet Reisenden, Wohnungs- und Obdachlosen, Menschen mit Behinderungen und Geflüchteten einen sicheren Raum am Bahnhof, in dem sie unkomplizierte Hilfe und Unterstützung erhalten. Täglich kommen mehrere dutzend Personen zur Mission, um eine warme Mahlzeit, ein offenes Ohr oder einfach nur einen Ort zum Verweilen zu finden. Ehrenamtliche Helfer leisten dabei wertvolle Unterstützung.
Lucas Maienschein, der selbst seit fast drei Jahren ehrenamtlich in der Bahnhofsmission tätig ist, beschreibt den Alltag: „Viele unserer Gäste sind wohnungslos oder befinden sich in sehr schwierigen Lebenssituationen. Wir bieten ihnen einen ersten Anlaufpunkt, wo sie ein Frühstück bekommen und einen Raum, in dem sie sich aufhalten können. Zudem helfen wir bei Problemen und leiten die Menschen an die richtigen Stellen weiter, wie etwa zu sozialen Beratungsstellen.“
Auch Martin Klenner aus Gießen war als Helfer tätig. Die Schließung lößt bei ihm ebenfalls Betroffenheit aus: “Schade, dass die Bahnhofsmission zum Monatsende schließen muss. Ich war dort jahrelang ehrenamtlich tätig. Unter einer neuen, finanziell sicheren Perspektive und guter fachkompetenter Leitung hätte ich mich über eine Weiterführung sehr gefreut. Ich habe die Petition nun unterschrieben, auch um der Diakonie Gießen zu zeigen, dass die Bahnhofsmission viele Unterstützerinnen und Unterstützer hat. Meines Wissens nach hat die Stadt Gießen aktuell sicher zusagen können gemeinsam mit der Caritas (steuert bisher jährlich 10.000 Euro bei) die Bahnhofsmission für ein Jahr zu finanzieren. Dieses Angebot wurde nicht angenommen. Die Diakonie Gießen hätte sich meines Wissens nach eine langfristige Lösung weiterhin unter einer Hauptamtlichen Leitung gewünscht.
Warum muss die Bahnhofsmission Gießen schließen?
Die Schließung der Bahnhofsmission ist vor allem auf finanzielle Engpässe zurückzuführen. Sinkende Einnahmen durch rückläufige Kirchensteuermittel und steigende Personal- und Sachkosten zwingen die Diakonie als Trägerin der Einrichtung zu drastischen Einsparungen. Die bisherige finanzielle Unterstützung durch sogenannte Lottomittel, die aus Überschüssen der hessischen Staatslotterien stammen, wurde stark gekürzt. Die Diakonie sieht sich daher gezwungen, das Geld zukünftig anderweitig zu verwenden und wichtige Beratungsleistungen für soziale Einrichtungen aufrechtzuerhalten.
„Die Bahnhofsmission trifft es besonders hart, weil es an finanziellen Mitteln fehlt“, erklärt Maienschein. „Die Diakonie muss aufgrund der Kürzungen von Kirchenmitteln ihre Ausgaben neu priorisieren, und das bedeutet leider, dass soziale Projekte wie unsere Bahnhofsmission darunter leiden.“
Die Folgen der Schließung für die soziale Versorgung
Die Schließung der Bahnhofsmission bedeutet den Verlust eines wichtigen Schutzraums für viele Menschen. Gerade die niedrigen Zugangsschwellen und das unbürokratische Hilfsangebot machen die Bahnhofsmission zu einem unverzichtbaren Anlaufpunkt. Mit dem Wegfall dieser Anlaufstelle drohen viele Menschen ins Leere zu fallen. Die ehrenamtlichen Strukturen, die bisher durch ein kleines Gehalt und Aufwandsentschädigungen gestützt wurden, können ebenfalls nicht fortgeführt werden.
Maienschein betont die Dringlichkeit der Situation: „Es kommen täglich Menschen zu uns, die in ihren Notlagen auf die Bahnhofsmission angewiesen sind. Gerade in den letzten Jahren hat sich die Situation durch Krisen wie den Ukrainekrieg und die steigende Zahl von Geflüchteten nochmals verschärft. Die Schließung ist ein schwerer Schlag für die Versorgung dieser Menschen.“
Die Petition: Ein letztes Aufbäumen gegen die Schließung?
Um die Schließung abzuwenden, hat Lucas Maienschein eine Petition gestartet. Ziel der Petition ist es, die Verantwortlichen dazu zu bewegen, sich noch einmal intensiver auszutauschen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dabei könnten auch Fördermittel von der Stadt Gießen oder dem Landkreis in Betracht gezogen werden, um den Fortbestand der Bahnhofsmission zu sichern. Er hofft, dass sich durch die Petition weitere Dialoge entwickeln, in dem alle Optionen auf den Tisch kommen.
Ob es nicht zu spät ist? Maienschein schätzt, dass nach der Schließung am Samstag vielleicht noch ein bis zwei Monate bleiben, um etwas zu retten. „Die Zeit drängt, aber wenn wir jetzt handeln, besteht vielleicht noch Hoffnung, dass die Bahnhofsmission eine Zukunft hat,“ betont er.
Der letzte Öffnungstag der Bahnhofsmission Gießen ist am kommenden Samstag (31. August). Dort wird zu einem Abschiedsfest ab 12 Uhr eingeladen.
Den Link zur Petition gibt es hier