Gießen (fw). Vor dem geplanten Gründungskongress der AfD-Jugendorganisation am 29. November in den Hessenhallen hat die Stadt Gießen verschiedene Maßnahmen angekündigt. Die Weststadt soll großräumig abgesperrt werden; nur Anwohnerinnen und Anwohner dürfen die Sperrbereiche mit Ausweis passieren. Mehrere angemeldete Gegendemonstrationen westlich der Lahn werden räumlich verlegt. Die Versammlungsbehörde betont, es handele sich nicht um ein Verbot, sondern um eine räumliche Beschränkung. Nachdem Anmelder gegen diese Entscheidungen juristisch vorgegangen sind, laufen inzwischen Eilverfahren. Eine ursprünglich für morgen angesetzte Pressekonferenz der Stadt wurde deshalb verschoben.
Begründung der Stadt und Gefahrenanalyse der Polizei
Die Stadt verweist in ihrer Begründung auf eine aktuelle Gefahrenanalyse der Polizei. Angesichts verstärkter Mobilisierungen und einzelner Gewaltdrohungen sei die Einschätzung entstanden, dass im unmittelbaren Umfeld der Hessenhallen eine Gefahr „für die Unversehrtheit des Lebens der Versammlungsteilnehmenden“ bestehe. Eng bebaute Straßen, fehlende Fluchtwege und mehrere tausend erwartete Teilnehmende könnten im Fall einer Eskalation zu gefährlichen Situationen führen.
Aus Sicht der Stadt musste die Abwägung zwischen Versammlungsfreiheit und dem Schutz von Leib und Leben zugunsten der Sicherheit ausfallen. Betroffenen Versammlungen seien Alternativflächen angeboten worden. Dazu zählt unter anderem das Lahnufer zwischen den beiden Lahnbrücken, von dem die Stadt nach eigener Darstellung Hör- und Sichtweite zur AfD-Veranstaltung gewährleistet sieht. Weitere kleinere Versammlungen sollen ebenfalls dort stattfinden, während ein geplanter Aufzug nun am Oswaldsgarten enden soll. Versammlungen in den engen Straßen westlich der Lahn, darunter Schlachthofstraße und Lehmweg, seien nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden wegen fehlender Fluchtwege und der erwarteten Personenzahlen nicht geeignet. Einige Anmelder stimmten den Verlegungen zu, andere lehnten die Ersatzstandorte ab.
Kritik und angekündigte Klagen mehrerer Organisationen
Gegen die Beschränkungen bereiten mehrere Organisationen rechtliche Schritte vor. Das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus teilte mit: „Die Organisatorinnen und Organisatoren bereiten sich auf rechtliche Schritte vor.“ Die Linke Gießen kündigte in einer eigenen Erklärung an: „Wir klagen Kein Fußbreit dem Faschismus in Gießen.“
Betroffen von den Auflagen sind unter anderem Anmeldungen des DGB Mittelhessen, der Linken, von Attac, der Grünen Jugend, der Jusos, Gießen bleibt bunt sowie eines anarchistischen Camps. Mehrere Gruppen kritisieren, dass Protest aus dem direkten Umfeld der Hessenhallen verdrängt werde. Aufstehen gegen Rassismus warnte, eine Verlagerung in gebietsferne Bereiche könne „eine unsichere und potenziell gefährliche Lage erzeugen“, weil es dort an geeigneter Infrastruktur fehle.
Reaktionen von DGB und zivilgesellschaftlichen Gruppen
Der DGB Mittelhessen zeigte sich irritiert über die Kommunikation der Stadt. „Zum aktuellen Zeitpunkt liegt uns weder ein Ablehnungsbescheid noch ein offizielles Verbot unserer Versammlung vor“, teilte die Organisation mit. Dass bereits vor dem abschließenden Kooperationsgespräch Hinweise zu Absperrungen veröffentlicht wurden, wertet der DGB als Vorfestlegung, die das bisher konstruktive Verfahren belaste.
Auch die Linke kritisiert mangelnde Transparenz. Der Kreisverband bemängelt, die schriftliche Beschränkungsverfügung sei erst zugestellt worden, nachdem Kundgebungen öffentlich bereits als verlegt dargestellt worden waren. Zudem wirft die Partei der Stadt vor, Protest „zu verschieben, zu entkernen und aus der politischen Wirkung zu nehmen“.
Bundesweites Bündnis widersetzen plant Blockaden
Das bundesweit aktive Bündnis widersetzen, mit Lokalgruppen in über 80 Städten, kündigt Protestaktionen an den Zufahrtsstraßen zu den Hessenhallen an. Sprecher Suraj Mailitafi betonte: „Gegendemonstrationen haben ein Recht, in Hör und Sichtweite zu einer anderen Versammlung stattzufinden.“ Das Bündnis ruft weiterhin zu Blockaden auf, um der AfD-Jugendveranstaltung entgegenzutreten.
Nach Bekanntwerden der behördlichen Auflagen kam es am Freitag zu einer spontanen Versammlung vor dem Rathaus. Die Stadt will die Presse an diesem Donnerstag über die Lage informieren und geht davon aus, dass bis dahin möglicherweise Entscheidungen zu den laufenden Eilverfahren vorliegen.
Was ein Eilverfahren bedeutet
Die juristischen Schritte der Protestgruppen laufen im sogenannten Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gießen. Dabei prüft das Gericht kurzfristig, ob die von der Stadt verfügten Auflagen und Verlegungen rechtmäßig und verhältnismäßig sind. Das Verfahren dient dazu, Entscheidungen zu treffen, bevor die Versammlungen am 29. November stattfinden. Je nach Ergebnis können sowohl die Stadt als auch die Anmelder anschließend Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen.

